Die Stimme von Helgoland

Titel:
Die Stimme von Helgoland

Autor:

Zdenko von Kraft ( 7. März 1886 in Gitschin, Böhmen - 7. November 1979 in München, Deutschland)
Politische Bedeutung:

Stark deutschnationalistisch orientiert, 1933 neben anderen „rein arischen“ Autoren in der Anthologie Dichterbuch. Deutscher Glaube, deutsches Sehnen und deutsches Fühlen in Österreich vertreten; seine Bücher im Dritten Reich häufig verlegt (Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Bd. 7, S. 9).

Perspektive:
Kriegserlebnis:

Unbekannt; Kraft nahm zwar zwischen 1915-1918 am Krieg teil, wurde jedoch vermutlich nicht an der Front eingesetzt.

(http://www.munzinger.de/search/go/document.jsp?id=00000007185, letzter Zugriff am 25.3.2015)

Vorkommen von autobiographischen Elementen im Text:

Wahrscheinlich nicht.

Bibliographie

Die Stimme von Helgoland
Erscheinungsjahr, Auflage:
1916, 1. Auflage
Verlag, Ort:
Grethlein & Co. G.m.b.H. , Leipzig
Seitenzahl:
272 S.
Gattung:
Epik
Darstellungstyp:

Repräsentationstyp.

Paratexte:

Widmung an die Insel Helgoland zur Erinnerung ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland.

„Ich widme dieses Buch der roten Klippe von Helgoland und der Erinnerung an ihre fünfundzwanzigjährige Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche.“

Struktur:

Formale Charakteristik des Werkes:

Gliederung in zwei Teile mit jeweils 18 bzw. 20 nummerierten Kapiteln ohne weitere Überschriften; heterodiegetischer Erzähler, variable interne Fokalisierung.

Eingliederung von Dokumenten / Medien / Bilder:

Mehrere Volkslieder im friesischen Dialekt; kurze Passagen aus dem Psalm Davids.

Raum:

Geographischer Raum:

Die Handlung spielt sich hauptsächlich auf der Nordseeinsel Helgoland und in der naheliegenden Region Dithmarschen in Schleswig-Holstein ab. Kurze, örtlich nicht näher spezifizierte Szenen aus dem Nordseekrieg, vermutlich geht es um die Kämpfe bei Skagerrak.

Umfang des Spielraumes:

Hinterland, Seekrieg.

Zeit:

Keine expliziten Zeitangaben; da der Text allerdings die reale Geschichte der Insel Helgoland schildert, ist die Zeitbestimmung überwiegend klar.

Die Handlung beginnt im Jahre 1890 mit der Übergabe der bis dahin zu England gehörenden Insel Helgoland an das Deutsche Reich, verfolgt die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, in der die Insel teilweise zu einer Seefestung umgebaut wird, die Evakuierung der Insulaner nach dem Kriegsausbruch 1914 und das weitere Leben der Textprotagonisten bis ungefähr zum Jahre 1916. Von den Protagonisten wird auch das Erste Seegefecht bei Helgoland (1914) erwähnt.

Fremdenbilder:

Feindbild:

Die Kriegsfeinde Deutschlands werden nicht näher charakterisiert und auf keine explizite Weise herabwürdigend dargestellt, die Einstellung des Textes zu anderen Nationen, derer Verhalten als Ursache des Krieges präsentiert wird, ist negativ. Das gilt v. a. für England als ehemaligen Besatzer der Insel Helgoland, die als zum Deutschen Reich zugehörig geschildert wird. Für die Helgoländer stellt dementsprechend England ihren Erzfeind dar.

Aber die Männer fanden nicht viel Zeit, ziellosen Erinnerungen nachzuhängen. Die heißen Stunden in Ost und West rüttelten an ihren Gedanken, entzündeten ihr sonst so schweres Gemüt. Sie wußten nicht viel von der Welt da draußen. Für Politik und Völkerkunde hatten sie keine Zeit auf ihrem Meer da droben Aber was die Franzosen und die Russen waren – das wußten sie alle gut genug. Und England – England kannten sie alle.“ S. 130

Freundbild:

Der Text will v. a. eine Charakterisierung der Helgoländischen bzw. im breiteren Sinne der friesischen Mentalität liefern, die auch während der englischen Besatzung dem deutschen Reich treu geblieben ist und sich nach einer Vereinigung mit Deutschland sehnt. Die Zugehörigkeit Helgolands zu Deutschland soll dem Text nach nicht nur dem deutschen Nationalgefühl der Helgoländer entstammen, sondern wird außerdem (von der Figur eines deutschen Professors für Biologie und Geologie) durch die geologische Abstammung der Insel von dem deutschen Festland bewiesen, was den Text in die Nähe einer monistischen Weltanschauung im Sinne Ernst Haeckels rückt, der in diesem Zusammenhang explizit erwähnt wird.

Trotz ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland werden die Helgoländer im Allgemeinen als härter, ruhiger und mutiger und aufgrund ihrer Lebensweise und geschichtlichen Erfahrungen als mehr opferbereit und überlebensfähiger als die Reichsdeutschen geschildert, welchen dementsprechend die freiwillige Einrückung schwieriger fällt als den Ersteren.

Max war nicht aus Helgoländer Granit. Seine Seele wallte im Abschied wie eine hohe Welle. […] Sein Herz pochte zwar hoch aber laut. Und seine letzten Tage hatten schmerzliche Flügel Anders Elsabe. Sie war das Kind friesischer Eltern, friesischer Lebensmut verlieh ihr erzwungene Ruhe. Max begriff sie nicht.“ S.181

Die Darstellung der Insulaner lässt sich als verherrlichend und idealisierend bezeichnen, ihre Welt wird als ein von anderen Völkern isolierter Raum „da draußen“, „da droben“ (S. 130) dargestellt, der die helgoländische Identität begründet.

Zivilbevölkerung:

Die Zivilbevölkerung spielt im Text die zentrale Rolle. Die von den Inseln evakuierten Helgoländer verhalten sich trotz ihrer starken Sehnsucht nach der verlorenen Heimat während des Krieges weiterhin diszipliniert. Der Krieg bedeutet ihnen einen notwendiger Verteidigungs- und Ehrenkampf gegen die Angreifer aus anderen Nationen.

Seltsame Signale sah man auf den Batterien des Hafens. Wo noch gestern eine Promenade war, stand heute ein hartherziger Posten. Niemand ließ er durch. […] plötzlich irgendwo weiße Blätter flogen. Extraausgaben! Arme, Stöcke und Schirme! Zornige Worte! Und dann ein heißer, herrlicher Sturm.

Der erste deutsche Sturm auf Helgoland. Zum erstenmal hatten sie alle den gleichen Glauben: die vom Rhein und die von der Oder, die vom Kurischen Haff und die von der Mündung des Weser, die aus der Hohen Venn und die vom Riesengebirge. Es war der große neue Glaube eines erbitterten Volkes.

Und Helgoland glaubte mit. Nur freilich, daß es seinen Glauben mit der ganzen Treue seines Volkes erkaufen mußte. Denn von den Leuten auf der roten Klippe ward das erste und nicht das leichteste Opfer begehrt: sie mußten den harten unfruchtbaren und doch so geliebten Boden verlassen um des Reiches willen, das da drüben hinter den Wellen lag. Dem Kaiser das Leben zu geben – das war nicht schwer. Aber der Brocken Stein im Meer, der war die ganze Liebe eines Volkes. Und nun sollten sie ihn hinwerfen in die Schale der Opfer und vergessen, daß sie jemals eine karge, heißgeliebte Heimat hatten.“ S. 122

Siehe auch Feindbild und Einstellung zum Krieg.

Intertextualität:

Wiederholt wird der alttestamentarische Psalm 64 erwähnt, im dem Gott die Feinde des Sprechers bestraft. Der Text ist, obwohl von einer nicht mehr klar denkenden Figur gesprochen, wird eindeutig auf die Lage Deutschlands im Krieg bezogen, das von den Figuren als die vom Gott geschützte Nation präsentiert wird.

Außerdem beruft sich der Text kontinuierlich auf die Person sowie die politischen Bestrebungen Hoffmanns von Fallersleben und auf seinen Aufenthalt auf der Insel Helgoland 1841, bei dem er Das Lied der Deutschen verfasste und die Vereinigung Helgolands mit dem Deutschen Reich vorzeichnete.

Einstellung zum Krieg:

Positiv. Entsprechend der stark deutschnationalistischen Einstellung des Textes wird der Krieg als heldenmütiger, notwendiger Kampf gegen Feinde aufgefasst, die das Deutsche Reich böswillig angriffen. Das freiwillige Einrücken in die Armee wird als Ehrensache präsentiert. Dieses gilt für die Helgoländer umso mehr, dass sie wegen dem Krieg ihre Heimat aufgegeben haben. Diese, in eine Seefestung verwandelt und zum Schauplatz der größten Seeschlachten geworden, bietet eine besondere Motivation zum Kampf gegen die Angreifer.

Neben den Helgoländer präsentiert v. a. die Vatergeneration große Kriegsbegeisterung, die durch die idealisierenden Erinnerungen an den Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) bekräftigt wird. Dies kontrastiert mit der Unentschlossenheit einiger der jungen Deutschen, ihre Familien zu verlassen und in den Krieg zu gehen, und erweckt den Eindruck, dass sich die jungen Deutschen ihrer Nation gegenüber weniger opferbereit verhalten. Diese anfängliche zögernde Einstellung wird jedoch durch das heldenmütige Verhalten der anderen behoben und die Überwindung der Angst, in den Krieg zu gehen, als besonderer Mut gefeiert.    

„[…] mit gewaltsamem Eifer warf er sich nun auf die neue Arbeiten bei Buch und Schreibtisch und auf das Systemisieren seiner Präparate aus Helgoland. Aber ihm wurde niemals recht wohl dabei. Der alte Soldat und der junge Krieg lagen ihm schwer in den Gliedern. Als blutjunger Leutnant war er vor mehr als einem Menschenalter in Paris eingeritten, kaum achtzehn Jahre alt, hatte er die ersten zwei Semester auf der Hochschule des Lebens zugebracht. Und so gern er auch in späteren Jahre an Heidelberg und Jena zurückdachte, die Vorlesungen aus dem Sattel, wie er zu sagen pflegte, gehörten zu seinen akademischen Meisterzeiten.

Nun hatte er die Sechzig hinter sich gebracht, ohne daß sein Jugendmut ausgekühlt hätte. Sein erstes Wort, als er von dem brande seiner Heimat hörte, war: Ich reite mit! Freilich kam dann das lange, resignierte Kopfschütteln hinterdrein und die Einsicht, mit der er sich zu bescheiden suchte: jetzt wollen wieder die Jungen nach Paris. Man muß nicht zweimal aus derselben Schüssel nehmen, solange andere noch nicht das erstemal gegessen haben.

Die Jungen! Er meinte seinen Sohn Max damit so gut, wie er sich selber gemeint haben würde, wäre er dreißig gewesen. Aber Max war doch nicht ganz aus des Vaters hartem Holze. Sein Glaube zwar war gut und sein Wille fest. Nur seine Überzeugung war von einer neueren, objektiveren Zeit ein wenig ausgeschliffen. Gewiß liebte er sein Land und seine Heimat innig. Aber seine überkultivierte Vernunft verhinderte die prachtvolle Leidenschaftlichkeit, die den Vater so vortrefflich kleidete. Und über alle Vorsätze und Entschlüsse blieb eine Weichheit in ihm, die seiner Taktlosigkeit recht zu geben schien. ‚Max hat nicht deine Knochen, Mann,ʻ, sagte Frau Johanna. ‚Max würde es hinwegfegen, ohne daß wir ihn jemals wiedersähen.ʻ Heim nickte eine scheinbare Bestätigung. Aber zu sich selbst sagte er: ‚Ich würde mich hinwegfegen lassen.ʻ“ S. 137-138.

„[…] ‚Ein Stück Eisen, das durch die Luft geflogen kommt, Johanna,ʻ sagte er, ‚tötet jeden Sterblichen; ob er nun ein Riese oder ein Schwächling ist Max ist gefallen. Und das muß gut sein so! Kein Volk der Welt hat lauter Recken zu versenden. Auch wir nicht. Aber daß die mit den Hammerfäusten neben denen mit den schwächeren Nerven und zarteren Herzen Schulte an Schulter kämpfen – das macht das Ende aus. Die Kernganzen sind nur dünn gesät. Aber auch Dreiviertel und Hälften ergeben Millionen!ʻ […] ‚Ja, Johanna, […] Ich! Ich muß ihnen Abbitte leisten, den Halben. Wie wir jetzt draußen stehen – hart im Westen und furchtbar in Osten, wie wir zäh und unerbittlich niederbrechen, was uns zerreißen sollte – das haben die getan, die vom Katheder und die vom Wirtshauswinkel, das haben die Blutjungen getan und die mit den Brillen auf der Nase und die mit dem altersgebleichten Haar. Prahlen wir nicht mit lauter Soldaten aus Athletenschulen. Doppelt stolz können wir sein auf die kraft der zarten und Schwächlichen, dreimal auf den Mut der völlig Unvorbereiteten. Auch Max ist so einer gewesen. Gottlob! Einer von den Schlanken und Unsicheren. Aber, Johanna….den Maxen draußen verdanken wir drei Viertel unserer Kraft!ʻ“ S. 239-240.

 

Die vom Erzähler und durch Nachrichten vermittelten Beschreibungen der Schlachten sind in einer mythisierenden Sprache verfasst, die den kriegsverherrlichenden Eindruck des ganzen Textes unterstützt.

Menschen schrieen. Tausende und Tausende von Menschen. Mit blauen Kappen und purpurroten Gesichtern. Sie stießen ungeheuere, hundertpfündige Erzmassen in blanke Rohre und dachten: Deutschland! Sie hielten sich mit Zähnen und Fingernägeln an stürzenden Schiffstrümmern fest und jauchzten: Deutschland! […] Aber über dem Tod stand das Leben, über der Qual die Ehre. Und lauter, hundertfältig lauter flog über alles Geschehen und in das weite, wüste Grab….ein Wort…..und dieses Wort war der Aufschrei von Millionen.

Eine blau-rote Flagge stürzte vom Mast herab: England! Ein Zerstörer taumelte mit klaffender Schlagseite und versank: England! Schwarze Riesentrümmer stäubten in den Himmel empor und krachten ins Bodenlose hinunter: England! Sie feuerten: England! Sie wetterten England! Sie vernichteten: England!“ S. 223-224.

Sinnangebote:

Der Krieg als heiliger und gerechter Kampf für die Erhaltung des Deutschen Reiches.