Angst

Titel:
Angst

Autor:

Rudolf Jeremias Kreutz ( 2. Februar 1876 in Rozdalowitz, Böhmen - 3. September 1949 in Grundlsee, Österreich)
Politische Bedeutung:

Pazifistische Weltanschauung, die aufgrund der Kriegsgefangenschaft in Ostsibirien entstand.

Perspektive:
Kriegserlebnis:

Ja, ab 1894 Offizier der k.u.k. Armee;  zwischen 1914 und 1918  in russischer Gefangenschaft.

Vorkommen von autobiographischen Elementen im Text:

Wahrscheinlich nicht.

Bibliographie

Der vereitelte Weltuntergang
Erscheinungsjahr, Auflage:
1919, 1. Auflage
Verlag, Ort:
Ed. Strache Verlag, Wien/Leipzig
Seitenzahl:
225 S.
Gattung:
Epik
Darstellungstyp:

Repräsentationstyp.

Paratexte:

Am Anfang der Sammlung eine Widmung an Kreutz’ Ehefrau Heddy.

Struktur:

Formale Charakteristik des Werkes:

Seiten 156-173 der Sammlung. Heterodiegetischer Erzähler, feste interne Fokalisierung.

Eingliederung von Dokumenten / Medien / Bilder:

Nein.

Raum:

Geographischer Raum:

Ein Dorf der Reservestellung, eine nicht näher spezifizierte Front; da sich die meisten der anderen Texte in der Sammlung an der Ostfront abspielen, lässt sich diese Verortung auch hier vermuten.

Umfang des Spielraumes:

Reservestellung, Front.

Zeit:

Die Handlung erstreckt sich über etwa eine Woche in der Reservestellung und später an der Front. Keine genauere Zeitangabe.

Die Mehrheit des Textes besteht aus den Überlegungen und Gedanken des Protagonisten Oberleutnant Wratka über seine Angst und Feigheit.

Erstens hab’ ich noch sechs Tage Ruh’ hier im Dorf ….. Erholung, Feuerstille …. Wie auf Manöver fast, nur keine Weiber halt …… und dann, wenn’s wieder hinausgeht in die erste Linie – schließlich …... schließlich, ich bin doch Mann wie die zwei Fähnriche! Alles sausende Kleinzeug trifft nicht, Granaten sind bloß Nervenblendwerk. Wenn ich nur ein bissel Glück hab’ …. warum sollt’ ich kein Glück haben? Der Markreiter, der Möhner, der Pollak, sie alle steh’n schon ein Jahr im Feuer …. dekoriert! und keinem ist was g’scheh’n. Und wenn ich kein Glück hab’, dann …. dann – Wratka stieß seine Seele in den tollsten Feuerlärm – dann ….. man ist eben Soldat und hat den Eid.“ S. 160f

Fremdenbilder:

Feindbild:

Der Kriegsfeind wird nicht thematisiert.
 

Freundbild:

Keine Bewertungen der befreundeten Nationen bzw. der österreichischen Militär. Im Text geht es um kein allgemeines Bild der österreichischen Offiziere, sondern um die psychischen Vorgänge im Kopf des Protagonisten, eines übertrieben ängstlichen Oberleutnants, dessen Angst vor dem Kampf und vor dem möglichen Tod ihn daran hindert, seine Offizierrolle zu erfüllen. Von seiner Kompanie wird er für einen Verrückten gehalten, die Verhaltensweise der anderen Soldaten und Offiziere zu Wratka wird allerdings nicht besonders negativ geschildert.

Er warf den Stummel weg und hatte schon das Pfeifchen im Mund, um ‚Vorwärts!‘ zu schrillen – da fielen zwischen den Geschoßtrichtern Granaten ein. Die drüben hatten offenbar die herannahende Verstärkung bemerkt und sperrten die Annäherung. Wratka ließ das Pfeifchen fallen und beobachtete den dumpfen Knall, die wirbelnde senkrechte Erdsäule. Wenn ich jetzt dort wär’, Muttergottes! Ist doch gut, wenn man zuwartet. Der eine Fähnrich trat nahe: ‚Wir müssen weiter, Herr Oberleutnant …. die anderen Kompagnien sind schon im Graben.‘ Wratka sagte leise: ‚Natürlich …. natürlich. Ich wart’ nur – eine – Feuerpause ab …. verstehst?‘ Und wischte mit unsteten Augen über das Gesicht des andern. ‚Feuerpause? Die werden jetzt keine machen. Je schneller, desto besser, Herr Oberleutnant …. übrigens  werden s’ uns hier gleich erwischen, wenn wir nicht abfahren.‘ ‚Meinst du?‘ rief Wratka lauter als er wollte und starrte den Fähnrich an, ‚no dann …. no dann – vorwärts also!‘“ S. 166

Wieder krachten Schüsse. Ein blitzschnelles Etwas flitzte durch Wratkas Kappe. Da heulte er auf und wuchtete in den Graben. ‚Hilfe!‘ kreischte er und hieb mit den Armen um sich. ‚Ich hab’s ja immer gesagt,‘ stellte der Fähnrich fest und fragte, wo der Herr Oberleutnant getroffen sei. Wratka wimmerte: ‚Hilfe …. Hilfe für ein feiges Schwein.‘ ‚No also, fehlen tut ihm nichts,‘ sagte der Fähnrich leise zum Feldwebel, ‚bloß verrückt, halt.‘ Wratka weinte. Er war sehr unglücklich. Er wäre gerne gestorben. Sein Wille hatte sich verkrochen, schwingenlos wie ein rasierter Spatz und sein Mechanisches zermalmte ihn: Jetzt wissen’s alle, daß du Angst hast….“ S. 171f

Zivilbevölkerung:

Die Zivilbevölkerung wird nicht thematisiert.

Intertextualität:

Keine.

Einstellung zum Krieg:

Eindeutig negativ. Der psychische Zustand des Protagonisten sowie seine übertriebene Angst werden zwar im Text als ein Einzelfall in einen Gegensatz zu dem Mut und der Gleichgültigkeit der anderen Soldaten gesetzt, sollen allerdings eindeutig eine repräsentative Funktion erfüllen, die die Front im Allgemeinen als Ort sowohl physischen als auch psychischen Leidens darstellt. Der Krieg degradiert demzufolge die Menschen, die durch die ständige Lebensgefahr und Zukunftsunsicherheit in eine Art Abgestumpftheit fallen, zu bloßen militärische Befehle ausführenden Maschinen.

„Zwischen dem struppigen Flechtwerk der Bäume, bei den Scheuern putzten die Leute ihre Gewehre. In Wratka war es unendlich leer. Er sah in die grausame Einöde dieser Welt, deren Maschinen ihre Maschinen säuberten. Mit Automatengebärden, stumpfen Auges und ruhigen Magens, denn sie hatten Brot geschlungen und das schwarze Spülicht des Kaffees. Darum arbeiteten sie fleißig. Nichts tat ihrem Mechanismus weh.“ S. 18f.

Sinnangebote: