Kavallerie

Titel:
Kavallerie

Autor:

Robert Michel (23. Februar 1876 in Chybeřice, Böhmen - 12. Februar 1957 in Wien, Österreich)
Politische Bedeutung:
Perspektive:
Kriegserlebnis:

Ja. Der Autor war seit 1895 beim Militär und war in der Zeit des Ersten Weltkriegs ein hochrangiger Offizier.

Vorkommen von autobiographischen Elementen im Text:

Ja. Michel gehörte seit 1895 zum bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiment (vgl. Concetti Riccardo: Muslimische Landschaften. Hugo von Hofmannsthals Auseinandersetzung mit der Prosa Robert Michels [online], 2002. S. 1-24. [zit. 2014-08-04]. URL: http://www.navigare.de/hofmannsthal/Ricc4.pdf, S. 3-4) und war in der Zeit des Krieges Zu der Zeit, in der der Sammelband von Walter von Molo herausgegeben wurde, war Michel an der Front.

Bibliographie

Drei Waffengeschichten. Erschienen in: Molo, Walter von: Weltkriegsgeschichten (Band 2)
Erscheinungsjahr, Auflage:
1916, 1. Auflage
Verlag, Ort:
Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel
Seitenzahl:
181 S.
Gattung:
Epik
Darstellungstyp:

Repräsentationstyp

Paratexte:

Vorwort von Walter von Molo (S. 7-12). Walter von Molo sieht die Aufgabe der Dichter in Bezug auf den Weltkrieg darin, dass sie die Kriegserfahrung denjenigen im Hinterland vermitteln sollen, die nicht fähig sind, den „Dichterblick der Soldatenaugen oder [des] Verwundeten“ zu verstehen (vgl. S. 8). Molo ist überzeugt davon, dass die von ihm gesammelten Geschichten, obwohl nicht unbedingt die besten ihres Genres, nützlich sind und dass sich die Qualität der Kriegsprosa erst nach dem Weltkrieg beurteilen lassen wird.

„Ich und gewiß auch die andern, deren Geschichten hier vereinigt sind, sind nicht der Meinung, daß diese Arbeiten die „besten“ wären, die über den Weltkrieg erschienen sind; solches wird sich, wenn überhaupt, erst in den kommenden Jahrzehnten halbwegs beurteilen lassen; die besten Weltkriegsgeschichten […] dürften ja erst nach dem Kriege entstehen […].“ (S. 9)

Struktur:

Formale Charakteristik des Werkes:

S. 24-39 der Sammlung. Heterodiegetischer Erzähler; externe Fokalisierung.

Eingliederung von Dokumenten / Medien / Bilder:

-
 

Raum:

Geographischer Raum:

Die Handlung spielt sich an mehreren Orten der Ostfront ab, nur einige davon werden geographisch spezifiziert (z. B. Schlacht am San, bei Przemysl, Gefechte bei Limanowa, Schlachten bei Lemberg).

Umfang des Spielraumes:

Ostfront.

Zeit:

Keine konkreten zeitlichen Angaben, bei den genannten Schlachten handelt es sich dem realen historischen Hintergrund nach um die Jahre 1914-1915.

Fremdenbilder:

Feindbild:

Die Darstellung der Russen ergibt sich aus dem Thema des Textes, das die Gegenüberstellung der neuen modernen Waffen und der alten Weise eines Nahkampfes thematisiert. Die Russen werden indirekt als diejenigen dargestellt, die sich bereits auf die neuen Kampfmittel – auf die automatischen Waffen und auf den Grabenkrieg – verlassen, die weniger Verluste bringen. Ihre Unlust, sich auf Gefechte mit der österreichischen, auf den Nahkampf gewöhnten Kavallerie einzulassen, ruft auf der österreichischen Seite eine Enttäuschung hervor, da sich diese in einem direkten Kampf eigenen Sieges sicher ist.

Freilich, die schönen Reitergefechte, von denen unsere Kavallerie geträumt hatte, die kamen nie zustande. Die russische Reiterei nahm nie eine Attacke an. Das war eine große Enttäuschung für die unsrigen, denn sie sahen sich dadurch um die erhofften Erfolge betrogen. (S. 26)

 

Die in Überzahl kämpfenden Russen werden im Allgemeinen nicht bewertet, allerdings ziehen sie sich jedes Mal, wenn es zu einem Nahkampf kommen soll, zurück, was als Feigheit zu interpretieren ist. Das gilt auch für die ansonsten besonders grausam geschilderten Kosaken, die einen wehrlosen österreichischen Soldaten zu sechst töten, wobei sich der Rest ihrer Truppe den Mord mit Vergnügen anschaut, sich aber beim Erscheinen mehrerer österreichischen Reiter schnell zurückzieht.

Zwei von ihnen machten Jagd auf das reiterlose Pferd, die übrigen gingen mit gesenkten Lanzen auf den Verwundeten los. Hinter ihnen tauchte langsam eine ganze Abteilung von Kosaken aus dem Walde, als wollten sie sich an dem Schauspiel ergötzen. […] Die vier Kosaken [haben den] Verwundeten erreicht und mit niederträchtiger Gewandtheit vier Lanzen den Armen durchbohrten. (S. 29)

Freundbild:

Die einzelnen Protagonisten, Reiter einer österreichischen Eskadron, werden durchaus positiv geschildert, v. a. was die führenden Offiziere angeht (Rittmeister Baron Berk, der die „Bewunderung seiner Kameraden“ erregt, „der unerschrockene hiebfeste Oberleutnant Balogh“, der „prachtvolle Leutnant von Kundu“, der „Haudegen alten Stils“, Unteroffizier Wachtmeister Prett; S. 25). Die Kavallerie, die dem Text nach alle österreichischen Kavallerien repräsentiert, zeichnet sich durch kollektive Werte der Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und v. a. Tapferkeit aus, die auch noch in Momenten kurz vor dem Tod der einzelnen Soldaten erhalten bleiben. Mit der Brutalität der Kosaken kontrastiert auch ihr Mitleidsgefühl – die Todesagonie eines Russen wird von einem österreichischen Soldat schnell beendet.

Die Verwundeten, die unseren und die russischen, schleppten sich auch in die Deckung und suchten da ihre Wunden zu verbinden. Einige blieben allerdings an Ort und Stelle liegen und hauchten da ihre letzten Seufzer aus. Unter ihnen war ein langer, blonder Russe, dessen Oberkiefer mit einem Kolbenhieb herausgehauen war. Der hatte ein Gebetbuch aufgeschlagen und wimmerte durch den gräßlich entstellten Mund sein Sterbegebet. Einer von der Eskadron war von Mitleid gepackt, sprang hin und bohrte ihm den Pallasch ins Herz.“ S. 37.

Das Reichsdeutsche Militär wird positiv als „die gefürchtete Hindenburgarmee“ (S. 33) bezeichnet, die Rolle des „siegerprobten Feldherrn“ (S. 33) Hindenburgs hervorgehoben. Die österreichisch-ungarische Armee ist im Text den strategischen Manövern der reichsdeutschen Armee unterordnet.

„Hieb um Hieb bewies Hindenburg den Russen, daß seine Kraft ungebrochen war, und unsere Armee drängte in heißen Kämpfen den Feind vor sich her.“ (S. 34)

„Die österreichisch-ungarische Armee mußte sich schweren Herzens entschließen, den gut fortschreitenden Kampf abzubrechen und die Truppen nach Westgalizien zu ziehen, um den vollen strategischen Einklang mit der verbündeten Armee zu wahren.“ (S. 34)

Zivilbevölkerung:

An die Zivilbevölkerung wird im Text im Allgemeinen nicht eingegangen, erwähnt werden lediglich Deutschland und seine reichen Vorräte an kampffähige Männer und an Pferde.

Aber die unerschöpflichen Quellen der Heimat gaben immer neue Soldaten und neue Pferde. (S. 33)

Intertextualität:
Einstellung zum Krieg:

Der Krieg selber wird im Text nicht bewertet, sondern als eine gegebene Situation betrachtet. Das zentrale Thema des Textes ist die Tatsache, dass der Erste Weltkrieg eine völlig neue Kampfart mitgebracht hat, die von den ganzen Armeen und den einzelnen Soldaten zuerst erlernt werden musste, was die einzelnen Kriegsseiten sowie Armeeeinheiten unterschiedlich schnell geschafft haben. Es stehen also technisierte, automatische Waffen, die auf große Entfernungen funktionieren und von einem nicht sichtbaren Feind bedient werden, auf einer Seite, und die auf einen Mann-gegen-Mann-Kampf gewöhnten Soldaten auf der Anderen, die mit der neuen Kampfart nicht zurecht kommen.

Dieser Kontrast ist bei der Kavallerie, die die Protagonisten dieser Erzählung bilden, besonders markant. Die Einheit der Kavallerie stellt an sich einen Anachronismus aus den Kriegen des 19. Jahrhunderts dar, weil sie im Grunde nicht anders als aus der Nähe kämpfen kann. Wie am Anfang des Textes erwähnt wird, wurden die Kavalleristen zwar auch zu Schützen ausgebildet, haben jedoch diese Technik noch nie praktisch angewendet.

„Um Gottes Willen, Herr Oberleutnant, was glauben S‘ denn? Absitzen und schießen! Das haben wir doch nur so im Frieden gelernt. Im Krieg gibt’s das nicht.“ (S. 27)

„Bitt‘ schön, Herr Oberleutnant, ich kenn‘ doch unsere Leut‘. Wann S‘ die absitzen lassen, so haben s‘ Angst. Beim ersten Schuß werden s‘ davonlaufen. Ein richtiger Kavallerist ist nur im Sattel etwas wert. Zu Pferd gehen die Kerle durchs ärgste Feuer.“ (S. 28)

„Die beiden Riesenschlachten bei Lemberg gegen die russische Übermacht waren vorübergegangen, und es setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, daß die offene Attacke der Reiterei eine Kampfart ist, die nur in äußerst seltenen Fällen angewendet werden darf. Es sollten große Verluste vermieden und die Kavallerie für die Verfolgung nach dem endlichen Sieg aufgespart werden.“ (S. 32-33) 

Im Laufe des Krieges, wo sie bei den gewöhnten Angriffen aus der Nähe allzu viele Soldaten verlieren, werden auch die Kavalleristen immer mehr dazu gezwungen, von den Pferden runterzusteigen und zusammen mit den Infanteristen den Grabenkrieg zu erlernen, was ihnen dem Text nach gelingt. 

Ehe unsere Armee diesen neuen Krieg erlernt hat, mußte sie eine furchtbar strenge Schule durchmachen. Es lag den Soldaten noch im Blute, den Feind nach der Art der Vorväter womöglich „mit offenem Visier“ anzugehen. Die neue Kriegsweise aber, in der die schlitzäugigen kleinen Japaner als die ersten die Meisterschaft errungen haben, zwang auch unsere geraden Burschen, die Arbeit des Maulwurfs zu erlernen; denn die fürchterlichen Waffen bringen jedem Vernichtung, der sich nicht unsichtbar machen kann, unter der Erde oder tief im Meere. (S. 24)

Den anachronistischen Eindruck der Kavalleriesoldaten unterstützt auch die Erwähnung ihrer für den modernen Krieg völlig unpraktischen, farbigen Bekleidung.

„Die schneidigen Reiter wurden da allmählich auch zu vortrefflichen Schützen, und Rittmeister Baron Berk war stolz auf diese vielseitige Verwendbarkeit seiner Schwadron. Nur machte es ihm Sorgen, daß bei dieser außergewöhnlichen Verwendung seine Reiter nicht so vorteilhaft uniformiert und ausgerüstet waren wie die Infanterie. Wenn die Schwadron in Schwarmlinie vorging, pflegte er zu klagen: ‚Mein Gott, die roten Hosen – die roten Hosen!ʻ“ (S. 34)         

Die alte Mann-gegen-Mann-Kampfart wird im Text durch ihre Verbindung mit Tapferkeit und Heldenmut der Soldaten deutlich verherrlicht und positiver bewertet als der moderne Kampf mittels automatischer Waffen, deren Auswirkungen sehr brutal geschildert werden. Das zeigt sich deutlich in einer der im Text abgebildeten Kampfszenen – aus einem heldenhaften Nahkampf gegen einen Sturm russischer Infanteristen, wo er viele von diesen getötet hat, entkommt einer der österreichischen Offiziere nur mit einer leichten Verletzung, wird jedoch unmittelbar danach von einem Schrapnell getötet. Das Heldentum des Nahkampfes kontrastiert mit der nicht-heldenhaften entpersönlichten modernen Kampfweise.

In Bezug auf die Grausamkeit des Krieges wird auch das Thema des Wahnsinns als einer der Kriegsauswirkungen angesprochen.

Da begann aber am Nachmittag ein mörderisches Artilleriefeuer aus großem Kaliber und richtete sich hauptsächlich gegen diese schwachbesetzte Stellung, die von der Eskadron gehalten werden sollte. Ein Treffer fiel genau in den Schützengraben und hatte eine schreckliche Wirkung. Das Geschoß war gerade vor dem Rittmeister eingefallen; und als nach der fürchterlichen Explosion das emporgeschleuderte Gestein und die wirbelnde braune Erde niedergeregnet war, fand man vom Kommandanten nicht die geringste Spur mehr.
(S. 35) 

„Aber, o Graus, als der Diener sich vom Schreck erholt hatte, sah er, daß das Geschoß seinem Herrn den Kopf abgerissen hatte. Er heulte auf wie ein Tier, sprang auf und rang die Hände. […] Der Unglückliche verfiel in ein irres Lachen, schrie, er müsse den Brief bestellen und stürzte davon.“ (S. 38)

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