Unbekannt.
Unbekannt.
Wahrscheinlich ja, das Vorwort zu dem Roman behauptet, der Autor wurde 1914 während eines Studienaufenthaltes in Frankreich verhaftet, in ein Zivilgefangenenlager geschickt und im März 1919 entlassen, was der Handlung des Textes entspricht.
Repräsentationstyp.
Prolog über den Verfasser, der die Authentizität des Textes bestätigen soll.
Der Verfasser dieses Buches war im Februar 1914 studienhalber nach Frankreich gereist. Sein Aufenthalt dort war auf sechs Monate berechnet, doch erst im März 1919 hat er die Heimat wiedergesehen. Denn als der Krieg ausbrach, wurde er gleich Tausenden seiner Landsleute an der Heimreise gehindert und dann bis über das Kriegsende hinaus in Frankreich festgehalten. […] Nein, dieses kleine Buch will nicht anklagen. Sein Zweck ist erfüllt, wenn es ihm gelungen ist, mit dem Schabmesser der Satire etwas von dem verlogenen Goldfirnis zu entfernen, darunter der Götze Krieg in seiner häßlichen Nacktheit sichtbar wird. S. 5
Außerdem ein Motto aus Dostojewskis Memoiren aus dem Totenhaus über die Überlebensfähigkeit des Menschen.
„… Ja, zäh ist der Mensch! Er ist ein Wesen, das sich an alles gewöhnt – und dies ist, glaube ich, die treffendste Bezeichnung für ihn.“ S. 6
Gliederung in mehrere durch Gedankenstriche getrennte Abschnitte, die einzelne Episoden aus der Gefangenschaft umfassen. Autodiegetischer Erzähler, feste interne Fokalisierung. Der Text besteht aus einer Rahmen- und einer Binnengeschichte, wobei die Rahmengeschichte mit einem zeitlichen Abstand von 10 Jahren die in der Binnengeschichte beschriebenen Erinnerungen aus dem Gefangenenlager einleitet und abschließt.
Ein Zitat von Friedrich Schiller, der die Relativität der Unfreiheit illustrieren soll (S. 43); außerdem einige französische und deutsche Lieder ohne Bezug zum Krieg.
Der Protagonist, der am Anfang des Krieges wegen seiner deutschen Nationalzugehörigkeit in Paris inhaftiert wird, wird zuerst für anderthalb Jahre in eine private Unterkunft in einer kleinen französischen Stadt namens Chateauroux beordert. Danach wird er in einen Zivilgefangenenlager in Saint-Laurent in Bretagne gebracht, wo die Mehrheit der Handlung spielt. Nach dem Ende des Krieges, im Frühling 1919, geht die Handlung mit einer Zugfahrt des Entlassenen über das Schweizer Sammellager in Cuisery fort und endet schließlich nach einer Zugreise durch Tirol und Österreich in der Heimat des Protagonisten, in Wien.
Hinterland, Gefangenschaft, Zugfahrt, die Welt nach dem Weltkrieg.
Die Rahmengeschichte, die die Erinnerungen an das französische Lager einleitet, spielt 10 Jahre nach der Rückkehr des Protagonisten in seine Heimat. Die Binnenhandlung beginnt im August 1914 mit seiner Inhaftierung. Die zeitliche Orientierung im Text wird durch ungefähre Zeitangaben („am Ende des dritten Kriegsjahres“, „der vierte Kriegsfrühling“ usw.) ermöglicht.
Die Zeit bildet eines der wichtigen Themen des Textes, da die Zeitwahrnehmung der Gefangenen durch die Langeweile im Lager sowie durch langes Warten auf ihre Freilassung verzerrt. Das Leben im Lager wird durch Gefühl einer stehengebliebenen Zeit geprägt.
Thematisiert werden die französische Zivilbevölkerung am Anfang des Krieges und hauptsächlich die Besatzung des Zivilgefangenenlagers, in dem der Protagonist den Krieg verbringt.
Nach dem Ausbruch des Krieges ist die Stimmung in Paris durch einen starken Hass der Franzosen auf alles Deutsche und dementsprechend auch durch eine Begeisterung über eine Kampf gegen Deutschland geprägt Die Inhaftierung und folgende Ausreise aus Paris wird für den Protagonist demzufolge zu einer Erleichterung darüber, dass er aus der feindlichen Stadt, aus der er als freier Mensch nicht mehr fliehen kann, zumindest als Gefangener entkommt.
„Schon einmal hatte ich dieses Gefühl tatmüder Ergebung, das seltsam Beruhigende dieses Nichtmehr-Wollenmüssens empfunden. Das war in den ersten Kriegstagen gewesen, als an einem Augustmorgen der endlose Viehwagenzug mich gleich mehreren Hunderten anderer ‚Indésirables‘ dem aufgewühlten Paris entführte […]: die Qualen, die jeder Gang durch die Straßen der haßerfüllten Stadt bedeutete, wo ein entfesselter Pöbel an allem, was deutschklingenden Namen trug, plündernd und zerstörend Rache nahm […]. In allen Fenstern lachende, singende Gesichter, auf allen Waggonwänden mit Kreide gemalte Zerrbilder Wilhelms II., spottende, auch wilddrohende Sprüchlein oder Aufschriften wie: ‚Train de plaisir pour Berlin‘.“ S. 12f
Die Bedingungen in dem französischen Zivilgefangenenlager werden als relativ freizügig beschrieben, die Gefangenen dürfen sich innerhalb der Gebäuden und des Gartens meistens frei bewegen und es wird mit ihnen auf eine humane Weise umgegangen. Die französischen Aufseher werden neutral bis positiv dargestellt. Es sind einfache bretonische Bauer, die lediglich auf Einhaltung der Lagerregel aufpassen und sich weiter in das Leben der Gefangenen nicht einmischen. Angesichts der bereits im Lager geborenen Kinder legen die Aufseher ihre Strenge und Autorität sogar völlig ab. Zum Ende des Krieges kommt es zwischen ihnen und den Gefangenen manchmal sogar zu Versöhnungsmomenten, da die beiden Gruppen, wie der Text verdeutlicht, einander im Grunde nie einen Anstoß zum wirklichen gegenseitigen Hass gegeben haben und sich beide gleich nach Frieden sehnen.
‚Vivement la fin!‘ ruft er und stößt mit uns an. Und so geschieht, und wohl nicht nur hier und jetzt, das Sonderbare: daß während hüben und drüben des Rheins die Mächtigen sich die Dröhnworte: ‚Jusqu’au bout!‘ und ‚Durchhalten!‘ haßerfüllt entgegenschleudern, die Ohnmächtigen: ein dienstmüder französischer Landstürmer und ein paar heimwehkranke deutsche Gefangene sich im Zeichen der Friedenssehnsucht verbrüdern. S. 94
Negativ werden lediglich die Figuren des Lagerdirektors und anderer Lagervorgesetzten geschildert, die als primitiv, intrigierend, käuflich und geldgierig beschrieben werden. Der Text macht außerdem deutlich, dass viele von den Gefangenen aus sehr mangelhaften Gründen wie z. B. wegen Verlust ihrer Ausweisdokumente oder wegen ihrem mangelhaften Französisch interniert werden. S. 30
Im Text treten auch einige französische Ehefrauen auf, die ihren deutschen Gatten freiwillig in das Lager folgten und somit ihre Freiheit zugunsten des gemeinsamen Familienlebens in der Gefangenschaft aufgegeben haben. Ihre absolute Teilnahmslosigkeit an der deutsch-französischen Feindschaft sowie die gegenseitige Liebe zwischen einem Deutschen und einer Französin soll auf die Unsinnigkeit des durch Propaganda angeregten gegenseitigen Hasses und des folgenden Krieges zwischen den beiden Nationen hinweisen.
„Mit deutschen Handwerkern, Agenten, Kellnern, Akrobaten vermählt, waren [die Französinnen] ihren Ernährern ins Exil gefolgt und trugen […] das immerhin seltsame Schicksal, im eigenen Lande gefangen zu sein. Deutsche und französische Siegesnachrichten hörten sie mit der gleichen inneren Teilnahmslosigkeit an, die wie taktvolle Reserve aussah: hatten sie doch durch eheliche Verbindung mit dem ‚Erbfeind‘ den Krieg beendet, bevor er noch ausgebrochen war und für ihre Person den deutsch-französischen Konflikt zu einer befriedigenden Lösung geführt. Sie hatten fast durchweg aus ihren Gatten Franzosen gemacht und erzogen natürlich auch ihre Kinder in der Muttersprache.“ S. 60f
Die Belegschaft des französischen Zivilgefangenenlagers besteht aus Menschen unterschiedlicher Nationen sowie verschiedener gesellschaftlichen Stellung. So variieren die Nationalitäten von Deutschen, Österreichern, Ungarn, Rumänen und Türken über Amerikaner zu Mexikanern und Indern. Nebeneinander werden hier eine böhmische Adelige sowie eine deutsche Prostituierte untergebracht. Keine der vertretenen Nationalitäten oder Sozialgruppen wird positiv oder negativ hervorgehoben. Die Erinnerungen des Erzählers, aus den der Text besteht, konzentrieren sich v. a. auf eine sich von den anderen einigermaßen abgrenzende Gruppe von Intellektuellen, zu der der österreichische Protagonist selber gehört. Der Text will zeigen, dass die Primitivität des Lebens im Lager gerade für Gebildete am Schwersten zu ertragen ist, weil sie noch mehr als andere, die sich weiterhin mit Handwerk und Handarbeit beschäftigen können, den Sinn ihres Lebens verlieren. Zumindest zeitweise wird dies durch die Errichtung eines von der Lagerleitung bewilligten provisorischen Studienzimmers erleichtert, wo die Gefangenen in relativer Ruhe und Abgeschlossenheit lesen, schreiben, übersetzen und debattieren können.
Angesprochen wird erstens die stark gegen Deutschland und alles Deutsche und Österreichische ausgerichtete französische Zivilbevölkerung am Anfang des Krieges (siehe Feindbild). Zweitens wird am Ende des Textes die katastrophale materielle Not thematisiert, die in den Kriegsjahren und nach dem Zerfall der Habsburger Monarchie in (ehemaligem) Österreich-Ungarn herrscht.
Eindeutig ablehnend. Der Krieg wird als ein sinnloses und zerstörerisches Ereignis dargestellt, dass das Leben in allen an ihm beteiligten Nationen äußerst negativ beeinflusst. Für die Gefangenen wird der Krieg zu einem Ereignis, das den Gang der Gerechtigkeit ausschließt. Ihren zwanghaften Aufenthalt im Gefangenenlager empfinden sie als Unrecht, da sie häufig weder kriegsbegeistert, noch Frankreich-feindlich gesinnt sind, und ihre einzige „Schuld“ in ihrer Nationalzugehörigkeit beruht.
„Das tagsüber geduckte Ich hebt das Haupt, das Denken erwacht, gleich hungrigen Mäusen brechen verscheuchte Fragen aus den Fugen des Hirns und beginnen ihr Nagewerk: warum hält man uns hier jahraus, jahrein gefangen, in zermarternder Ungewißheit, in ehrloser Untätigkeit, weit ärger als Zuchtshäusler, die doch arbeiten, die doch den Zeitpunkt ihrer Freilassung kennen und ihm entgegenhoffen dürfen? Verurteilt auf unbestimmte Zeit! Wofür? Für welches Vergehen, welche Untat, welche Schuld? Hatten wir den Krieg erklärt? Hatten wir ihn gewollt? Zu seinem Ausbruch beigetragen? Komplottiert? Spioniert? Hatten wir Waffen getragen, getötet, Brand gelegt, geplündert? Nein, nichts von alledem. Unsere Schuld war, daß wir Deutsche hießen, Österreicher, Ungarn; ja oft genug wirklich nur hießen.“ S. 77
Im Text werden chronologisch einzelne Episoden aus dem Leben in dem französischen Zivilgefangenenlager und damit auch die Erlebnisse und geistige Entwicklung der Gefangenen innerhalb der Kriegsjahre abgebildet.
An Anfang der Inhaftierung macht sich unter den Häftlingen eine Art Erleichterung darüber bemerkbar, dass man innerhalb des fremden Landes nicht mehr fliehen muss. Die Haft gibt den Gefangenen zeitweise sogar ein Gefühl der Geborgenheit, über dem jedoch im Laufe der Zeit immer mehr Resignation überwiegt.
„Auf dem Boden des Saales, regellos durcheinanderlagernd, noch ein Dutzend Schicksalsgenossen, deren Gegenwart sich durch das knistern des Strohs und die mannigfachsten Atem Geräusche kundtut, abgestuft nach physischer und seelischer Eigenart vom schüchternen Säuseln zum gewalttätigen Schnauben und mitleidslosen Sägen. Und seltsam! Inmitten dieser trostlosen Nachquartierstimmung, der als ergänzender Unterton auch das Rattengeraschel in den Mauerfugen nicht fehlt, überkommt mich, auf meinem kläglichen Lager, unter der schleißigen Pferdedecke, die ich bis an die Ohren hinaufgezogen habe, ein Gefühl der Geborgenheit: ein unrühmliches Hürdenbehagen, genährt aus dem Bewußtsein der mich umdunstenden Animalität und einer Resignation, die schon im Fehlen aller Entschlußmöglichkeit, in der Umgrenzung und Regulierung der bisher unabsehbaren Leidensmasse einen Lustfaktor findet. Schon einmal hatte ich dieses Gefühl tatmüder Ergebung, das seltsam Beruhigende dieses Nichtmehr-Wollenmüssens empfunden. Das War in den ersten Kriegstagen gewesen, als an einem Augustmorgen der endlose Viehwagenzug mich gleich mehreren Hunderten anderer ‚Indésirablesʻ dem aufgewühlten Paris entführte, einem Ziele zu, das die meisten von uns kaum dem Namen nach kannten.“ S. 11f.
Der ursprüngliche Glaube an Österreich und an seinen Sieg sowie das Interesse für die Kriegsereignisse überhaupt lassen im Laufe des Krieges nach. Das Schicksal Österreichs wird für die Gefangenen auch deswegen immer weniger interessant, weil sie sich von der Monarchie, die für ihre Rettung nichts unternimmt, im Stich gelassen und vergessen fühlen. Das Desinteresse an den politischen und Kriegsereignissen ist außerdem ein zwanghaftes Ergebnis der strengen Zensur, die jegliche „potentiell gefährliche“ Informationen in der Korrespondenz der Gefangenen mit ihren Familien streicht und durch diese unsinnig starke Eingriffe die Gefangenen somit auch an der einzigen Kommunikationsweise mit der äußeren Welt hindert, was diese schwer ertragen.
„Nein, nicht ganz verstoßen und vergesse: es gibt Briefe. Freilich, sie kommen spät, nach Wochen, oft nach Monaten, und sie zeigen Spuren mannigfacher Mißhandlung. Denn hier und daheim sitzen Zensoren: Tapfere eigener Art, die in der Erkenntnis, daß die Linien des Feindes auf dem Papier leichter zu nehmen sind als im Feld, das Schwert klüglich mit Schere und Farbstift vertauscht haben. Ihre Attacken, die die festgefügtesten Wortkolonnen zersprengen, sind, ungleich denen in der Schlacht, gegen Wehrlose gerichtet und darum immer sieggekrönt. So gleicht denn das, was schließlich in unsere Hände kommt, oft mehr einem Leserost zur Entzifferung chriffrierter Briefschaften als einem Brief. Aber auch so: zerfressen, von schwarzem Aussatz bedeckt, hundertfach entehrt durch rohe Betastung, fühllose Überstempelung: es sind Briefe, Heimatsboten, beladen mit liebender Sehnsucht, von vom kostbaren Trost und herzerwärmendem mitempfinden. Die Hoffnung auf baldige Heimkunft kehrt darin beharrlich wieder: anfangs als wirkliche gläubige Zuversicht, später, im unerbittlichen Ablauf von Jahr um Jahr, immer matter und unsicherer, und da der Wortvorrat längst erschöpft ist, in Formeln von verzichtender Monotonie. Von den Kriegsereignissen sprechen diese Briefe in umschreibenden, scherzhaft-dialektischen oder doppeldeutigen Wendungen. Die kriegführenden Staaten werden zu Personen, franz, Michel, Herr Engel, die großen Geschehnisse, Schlachten, Siege, Niederlagen zu geschäftlichen Verlusten, Krankheiten, gut oder schlecht überstandenen Operationen. Lucie heißt Österreich. Sie ist wiederholten Schwächeanfällen ausgesetzt, bedarf der Hilfe des großen Bruders, des Rates tüchtiger Ärzte, mit deren Beistand sie sich wieder erholt; […] Aber es kommt eine Zeit, da das Schicksal Luciens und ihrer Verwandten nicht mehr das Wesentliche ist. Den durch jahrelanges vergebliches Hoffen Zermürbten ist Tag um Tag ein Glaube, ein Idol zerbrochen. Waffenruhm, von den heiseren posaunen der Presse zuschandengeblasen, ist längst zum hohlen Schall geworden. Und Nationalehre und Siegesmut und Siegeshoffen? Ebensoviel mißtönende Hahnenschreie in endlos-finsterer Nacht, an deren morgenrufende, sonnenweckende Kraft längst keiner mehr unter uns glaubt. Mißachtet und gequält vom Feind, vergessen vom Vaterland, das für seine fernen nutzlosen Söhne keine Zeit übrig hat, ohne Freiheit, ohne Beruf, ohne Tätigkeit, ohne höheren Zweck, Außenseiter des Lebens, sind wir nur noch auf die Sorge um die Lieben daheim und das eigene ich gestellt, das brauchbar hinüberzuretten in einer bessere Zukunft unser trotziger, lebenserhaltender Wille ist.“ 19ff.
Neben des Mangels an Privatsphäre und an Ruhe zu intellektuellen Tätigkeiten, der durch das oben erwähnte Studienzimmer teilweise kompensiert wird, wird im Laufe der Kriegsjahre v. a. Langeweile zum größten Problem des Gefangenseins.
Durch die Figur eines philosophierenden Gefangenen kommt die Ansicht zum Ausdruck, die die Gefangenschaft als einzige richtige Möglichkeit betrachtet, das Moralische und Ethische in dem menschlichen Charakter zu entwickeln, da es der Mensch nur in Abgeschlossenheit von den weltlichen Genüssen und Regeln erreichen kann. Die Ansichten dieses Studenten stoßen bei den meisten Gefangenen auf Spott oder Wut. Außerdem stellt der philosophierende Student die Freiheit an sich wiederholt in Frage, indem er seinen Mitgefangenen demonstriert, wie sehr die bürgerliche Gesellschaft durch Regeln und Konventionen unfrei geworden ist. Auch mit dieser Haltung bleibt er allein. Der Text macht jedoch deutlich, dass diese Ansichten auf einige der Gefangene, auch wenn nur heimlich oder unterschwellig, als ein Trost wirken.
Nach vier Jahren Gefangenschaft, zum Ende des Krieges, schärft sich die Verzweiflung und damit auch die Aggressivität der Häftlinge deutlich zu, was sich durch ihre Hinwendung zu primitiven Trieben, Animalität und manchmal auch Wahnsinn auf Kosten der geistigen Tätigkeiten äußert. Die Hoffnungslosigkeit steigert sich noch mehr, nachdem der Protagonist und einige seiner Freunde von einer Schweizer Ärztekommission aufgrund ihrer schlechten gesundheitlichen Lage zum Transport in die Schweiz ausgewählt werden, ihre Abreise sich jedoch durch administrativen Schlendrian immer weiter verzögert und bei manchen Gefangenen infolge des Ausbruchs spanischer Grippe endgültig verhindert wird.
Waffenstilstand! Glocken läuten und die Wachsoldaten fassen doppelte Weinration. Die Zeitungen wissen von großen, für uns schwer faßbaren Dingen zu berichten, die draußen in der Welt vor sich gehen: von Revolutionen hier und dort, flüchtenden, abgedankten Monarchen, zerfallenden Ländern, auf deren Boden unbegreiflich rasch neue Staaten entstehen. Der Krieg, von dem es schien, daß er die neue dauernde Lebensform Europas bleiben werde, ist also wirklich zu Ende. Nur für uns dauert er fort. – ‚Alles kehrt heim‘, schreiben sie von zu Hause, ‚wo bleibt ihr?‘ Wir antworten mit achselzuckenden Redensarten, leeren Vertröstungen. Gewiß: ein Federstrich könnte unserer nun vollends sinnlosen Haft ein Ende bereiten. Aber es denkt niemand in Österreich daran, ihn zu tun. S. 117
Die abschließende Reise des Protagonisten in seine österreichische Heimat wird immer wieder durch Angst vor einer erneuten Inhaftierung geprägt, was ihm schweres psychisches Leiden verursacht. Schließlich wird er durch die katastrophale materielle Lage Österreichs schockiert, da die in seinen Wunschvorstellungen idealisierte Heimat keineswegs seinen Erwartungen entspricht.
„‚Wer wird denn die Straßen jetzt kehr’n?
Wer wird denn die Straßen jetzt kehr’n?
Die vornehmen Herr’n
Mit die goldenen Stern’,
Die werden die Straßen jetzt kehr’n!‘
So fangen sie, Andreas Hofers und Speckbachers späte Enkel, Strophe auf Strophe im gleichen Ton, einen Rosenkranz spottender G’stanzeln, jedes einzelne ein scharf umrissenes Zukunftsbild des neuen Österreichs. Es schien als habe das Schicksal dieses Lied mir eigens zum Willkomm ausgesucht, um den Ahnungslosen auf die anmutigste Art mit dem Umsturz der Verhältnisse bekannt zu machen, der sich in seiner Abwesenheit vollzogen. […]
Also wirklich, so stand’s daheim? […] Eine unsägliche Traurigkeit erfaßte mich. Darum also viereinhalb Jahre lang gehofft, gedarbt, gelitten! Um in ein zertrümmertes, entehrtes, hungerndes Land zurückzukehren!“ S. 125f
Zum Schluss, mit zeitlichem Abstand von zehn Jahren, bringt der Text eine optimistische Hoffnung zum Ausdruck, dass die Menschen, durch die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs belehrt, nie wieder einen solchen grausamen Krieg führen werden.
„Die gute treue Sonne! Es ist die gleiche, die vor einem Jahrzehnt drüben im Westen einen freudlosen Gefangenen wärmte, bräunte, tröstete! Einst Frankreichs und nun Heimatsonne! Dieselbe Sonne, die gestern und heute und morgen allem Geschaffenen aller Rassen, Zonen und Zeiten strahlte und strahlt. Die einst, – in Zukunft – o allerschönster Traum! – die Menschheit zur Andacht vor dem Wunder ihrer Allgerechtigkeit erleuchten wird und zu ihrem Dienst, der spendende Liebe heißt. Damit sie, die Lebenszeugende, nie wieder über leichenbesäten Schlachtfeldern aufgehen muß, und über den Leib und Seele vernichtenden Menschenpferchen, die man Gefangenenlager nennt.“ S. 130
Keine.