Perutz nahm an politischen Versammlungen von Sozialdemokraten, Kommunisten und Anarchisten teil, war jedoch selbst „vermutlich zu sehr Skeptiker und Wahrscheinlichkeitstheoretiker, als daß er einer eigenen politischen Aktivität große Wirkung beigemessen hätte.“ (Müller, Hans-Harald: Leo Perutz – ein biographischer Essay (1895), In: Herr, erbarme dich meiner, S. 197.)
Ja, seit 1915 an der Ostfront, ab 1917 in Kriegspressequartier.
Eine mögliche Parallele zwischen dem Autor, der im März 1916 an der galizischen Ostfront schwere Verwundung erlitt und der in der Erzählung auftretenden Figur des Soldaten Michal Hruska, der in Galizien verwundet wurde.
Repräsentationstyp.
Erzählsammlung Herr, erbarme dich meiner - Nachwort von Hans-Harald Müller – Leo Perutz – ein biographischer Essay; Editorische Notiz von Hans-Harald Müller.
S. 120-162 aus der Sammlung; Homodiegetischer Erzähler; feste interne Fokalisierung; keine weitere Gliederung.
Liedtexte – Übersetzungen von tschechischen Volksliedern; ein Spottlied, dass sich über die Japaner lustig macht.
Prag – Kaserne bei Hradschin, woher die Soldaten später nach Trient ziehen sollen; das Gasthaus „Zur Kartätsche“ in der Nerudagasse.
Hinterland.
Zeitraum des 1. Weltkriegs (wird nicht weiter spezifiziert); die Geschichte wird retrospektiv aus einem Zeitpunkt erzählt, der 12 Jahre nach der eigentlichen Handlung liegt.
„Zwölf Jahre sind seit jener Zeit vergangen […]“ (S. 124)
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Einige der verallgemeinernden Aussagen, die im Text zu finden sind, charakterisieren in einer ironischen Weise die tschechischen Soldaten, die als nicht sonderlich intelligent beschrieben werden. Eine besondere Stellung in der Gesellschaft, die das Gasthaus „Zur Kartätsche“ besucht, nehmen die Pioniere ein, die wegen der Metallfarbe ihrer Kappen „Blechfliegen“ genannt werden. Für ihre Überheblichkeit werden sie von den Soldaten ausgelacht.
„Die Pioniere waren einmal im Gasthaus »Zur Kartätsche« große Herren gewesen. Sie hatten immer viel Geld, tranken Wein, die Flasche zu zwei Gulden – zahlten den Mädchen die Zeche und trugen –»wie die Freiherren«, hieß es in der »Kartätsche« – Extrauniformen mit seidenen Flimmersternen, die vorschriftswidrig waren. Aber ihre Rolle war ausgespielt seit dem Tag, an dem der Feldwebel Chwastek zum ersten mal in das Wirtshaus gekommen war.[…] (S. 126-127)
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Allgemein negativ; in Bezug auf den Krieg werden im Text zwei Themen problematisiert: die Identität eines Soldaten und die Zufälligkeit im Krieg.
Die Spannung zwischen der Soldatenidentität und den persönlichen Bedürfnissen wird durch die Figur des Feldwebels Chwastek repräsentiert. Seitdem Chwastek Feldwebel geworden ist, verzichtet er an die Werte des Familienlebens und versucht jegliche gesellschaftliche Konventionen zu vermeiden.
„Wissen Sie, Freiwilliger: Beim Teetisch sitzen, Sandwiches naschen, geistreiche Gespräche über die neuesten Zeitschriften führen und den eleganten Spielen, Gnädigste hin und Gnädigste her – dazu tauge ich nicht mehr. Vielleicht früher einmal, ja. Aber heute bin ich der Feldwebel Jindrich Chwastek, Dienstführender von dritten Bataillon – was will man von mir?“ (S. 148 - 149)
Später, nach einer Begegnung seiner früheren Liebe und beim Anblick ihres Familienglückes empfindet Chwastek allerdings plötzlich, dass seine langjährige Soldatenidentität, an die er so fest glaubte, letztendlich seine persönlichen Bedürfnisse nicht verdrängen kann.
Außerdem reflektiert der Erzähler an Beispielen der einzelnen Protagonisten die Problematik des Zufalls im Krieg, der seine Absurdität steigert. Die Kriegsgewalt wird als ein Potenzial dargestellt, das auf kein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist, sich jedoch immer ein zufälliges Ziel – einen lebendigen Mensch – findet, dessen Leben dadurch zerstört wird.
„[Es scheint mir], als habe der arme Feldwebel Chwastek gar nicht durch Selbstmord geendet. Sondern, daß ihn solch eine irrende Kugel getötet hat, eine Kugel, die singend dahinflog, ohne Ziel, und ihn heimtückisch niederwarf auf ihrer Irrfahrt, weitab vom Schuß, wie den armen Hruska Michal, den wir noch lange nachher mühselig auf zwei Krücken über den Kasernenhof hinken sahen.“ (S. 122)
Indirekt wird die Einstellung der Soldaten angesprochen, die vor dem kurzbevorstehenden Abgang nach Trient übertrieben selbstbewusste Äußerungen über ihre nächste Wirkungsstätte mach, um damit offensichtlich ihre Angst vor der Front zu verdecken.
[…] einige der Gäste hatten Spottverse auf die Tiroler Garnisonstadt gemacht und gaben sie zum besten – »die Mädeln dort gehen an«, hieß es in einem – »alles übrige ist nicht viel wert« –, andere suchten die Eifersucht ihrer Mädchen zu wecken mit den Erwartungen, die sie auf die Schönheit und das Entgegenkommen der Trientinerinnen setzten, und einer fragte nach lärmend, ob es in Tirol auch Schweinernes mit Sauerkraut, Knödeln »und Bier dazu« gäbe, sonst müßte er desertieren.“ (S. 137)