Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland

Titel:
Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland

Autor:

Friedrich Bodenreuth ( 4. April 1894 in Budweis, Böhmen - 18. Februar 1946 in Weimar)
Politische Bedeutung:

Am Anfang der 30er Jahren Mitglied der Deutschen Nationalpartei, später sympathisierte er mit NSDAP. Seine Texte waren häufig gegen die tschechoslowakische Regierung ausgerichtet, womit auch der Gebrauch seines Pseudonyms zusammenhängt – damit sein Name nicht tschechisch klingt, hat Jaksch sein Buch Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland, das in Deutschland einen riesigen Erfolg erlebte, unter dem deutsch klingenden Namen „Bodenreuth“ herausgegeben.

Perspektive:
Kriegserlebnis:

Während des Ersten Weltkriegs kämpfte Jaksch auf der österreichisch-ungarischer Seite in Galizien bei Zamosc-Komarow, wo er schwer verwundet und des Militärdienstes enthoben wurde.

Vorkommen von autobiographischen Elementen im Text:

Die Heimatstadt, Schilderung des Schulzeit des Romanprotagonisten Christopher Jakobs sowie die starke Neigung seines Vaters zur deutschen Nation entsprechen den realen Umständen im Leben des Autors. Die Figur Franz Witmanns, eines der Schulfreunde des Protagonisten, hat ein reales Vorbild in der Person von Jakschs Schulfreund Franz Leyer.

Wichtig ist bloß, aus welchem Erdreich man kommt und wie man wuchs. Innerlich! Und diese meine Biographie steht im dichterischen Werk, besonders in ,Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland‘.“ [Friedrich Bodenreuth – ein Fünfziger. In: Budweiser Zeitung vom 31.3.1944, Nr. 26, S. 6]

Bibliographie

Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland
Erscheinungsjahr, Auflage:
1938, weitere Auflagen: 1937, 1. Auflage in Berlin
Verlag, Ort:
August Pries GmbH, Leipzig
Seitenzahl:
308
Gattung:
Epik
Darstellungstyp:

Repräsentationstyp.

Paratexte:

Vor dem Anfang des Textes zwei Mottos – das erste von Wenzl I. begründet geschichtlich die Rechtsansprüche der Deutschen in Böhmen; das zweite von Eduard Beneš über die Unmöglichkeit eines deutsch-tschechischen Zusammenlebens auf gemeinsamem Gebiet.

„,Wer aber die Deutschen im Lande in ihren verbrieften Rechten schmälert, der soll des Verbrechens der verletzten königlichen Majestät für schuldig erkannt werden, und außerdem soll ihn Gott, der Allmächtige, verfluchen, gleichwie Datham und Abiram.‘ Wenzel I., König der Böhmen in der Bestätigung der Freirechte der Deutschen von 1178

„,Tatsächlich ist zwischen den zwei Nationen in Böhmen eine Versöhnung nur möglich, wenn beide Völker vollkommen autonom sind. Es muß eins vom anderen getrennt werden.‘ Eduard Beneš, Präsident des tschechoslowakischen Staates, in seinem Buche ,Le probléme autrichien et la question tchéque‘.

Struktur:

Formale Charakteristik des Werkes:

Heterodiegetischer Erzähler, feste interne Fokalisierung; graphische Gliederung in kürzere Abschnitte ohne Überschriften.

Eingliederung von Dokumenten / Medien / Bilder:

Eine Beilage von L´Indépendance Tchéque, die einen Aufruf an die Tschechen zum Boykott der Kämpfe an der Seite Österreich-Ungarns beinhaltet (S. 139); mehrere gegen die Deutschen gerichtete Lieder, z. B. von K. H. Borovský (S.119), weiter dann auf Seiten S. 119-120, S. 124-125, S. 250; außerdem Sankt-Wenzelschoral (S. 122-123), der die Tschechen als Ausdruck ihrer Nationalidentität singen.

Raum:

Geographischer Raum:

Die Handlung fängt in Budweis bzw. in der kleinen Stadt Hodowitz bei Budweis an, woher der Protagonisten stammt und wo er seine Jugend verbringt. Später zieht der Protagonist in ein tschechisches Dorf in der Nähe von Louny und schließlich nach Prag. 1915 rückt der Protagonist über Ungarn an die Südfront (Erzano). Die Zugfahrt zu diesem Ort führt über Tirol. Nach dem Krieg kehrt er zurück nach Böhmen und erlebt tschechische Aufstände gegen die Deutschen in Südböhmen und in nordböhmischen Reichenberg. Danach zieht der Protagonist ziellos durch Nordböhmen (z. B. durch Kadaň) und später durch Deutschland  nach Wittenberg. Schließlich kehrt er über Pirna zurück nach Böhmen, wo er weiterhin für die böhmischen Deutschen kämpfen will.

Eine besondere Rolle spielt in dem Text die Hauptstadt Prag, die sowohl für die böhmischen Deutschen als auch für die Tschechen das Symbol ihres jeweiligen Nationalgefühls darstellt und somit den Kampf zwischen den Tschechen und den Deutschen in Böhmen verkörpert.

Und Prag! Mütterchen wird diese Stadt von den Tschechen geheißen. Die Deutschen aber schenkten ihr eine Liebe, wie sie tief und schmerzensreich nur einem Kinde gegeben wird. Denn deutsche Arbeit legte die Steine zum Grunde der Stadt, aus deutschem Fleiße wuchs sie empor, […] Die Tschechen wollen ihr Mütterchen und kämpften ebenso tapfer dafür und setzten Blut ein, wie die Deutschen für ihr Kind.“ S. 15

Ob die in Böhmen nun aus Marbod kamen, […] oder ob sie dem Rufe der Könige bis nach Sachsen, Schwaben […] gefolgt waren […]. Alle aber gingen sie durch Prag, denn Prag ist überall, auch hier in Budweis. Denn auch hier ist dieselbe Liebe und derselbe Haß, dasselbe Glück und dieselbe Not.“ S. 17

Umfang des Spielraumes:

Welt vor dem ersten Weltkrieg, Hinterland, Südfront, Hinterland.

Zeit:

Der Text setzt mit einem historischen Überblick über die Entwicklung des deutschen Volkes von den Boiern bis zu dem Zeitpunkt an, in dem die eigentliche Handlung beginnt und der in den 1910er, der Gymnasialzeit des Protagonisten, liegt. Danach folgt eine zeitdeckende Beschreibung der geistigen Entwicklung des Protagonisten bis zu dem Kriegsanfang (thematisiert wird die Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo) und über den Anfang des Krieges hinaus. Nach dem Sankt-Wenzelstag am 28.9.1915, ungefähr ein Jahr nach der Ermordung von Franz Ferdinand, rückt der Protagonist an die Front. Die Handlung verläuft über das Kriegsende und die tschechischen Aufstände 1918 hinaus und endet kurz nach der Unterschreibung des Versailler Vertrags am 28.6.1919, der die Grenze zwischen der neu entstehenden Tschechoslowakei und Deutschland festlegt.

Fremdenbilder:

Feindbild:

Von den verfeindeten Nationen werden lediglich die Russen thematisiert. Der Text macht deutlich, dass sich die Einstellung zu Russland bei den Tschechen und den böhmischen Deutschen prinzipiell unterscheidet. Während die Deutschen im Russland den offiziellen Kriegsfeind sehen, hoffen die Tschechen auf eine Niederlage Östererreich-Ungarns durch die Russen. Diese würde eine Befreiung der tschechischen Nation aus der österreichischen Oberherrschaft bedeuten und ermöglichte die Entstehung einer tschechischen bzw. einer slawischen kommunistischen Großnation. Der nationalistisch orientierte deutsche Protagonist sowie der Text lehnen das kommunistische Gedankengut sowie den Internationalismus ab.

Freundbild:

Das zentrale Thema des Romans ist die gegenseitige Feindschaft zwischen den in Böhmen lebenden Deutschen und den Tschechen sowie die Unmöglichkeit eines Zusammenlebens der beiden Nationalitäten auf dem gemeinsamen Gebiet Böhmens. Wie die historische Übersicht am Anfang des Textes ausführt, wurzeln die gegenseitigen deutschböhmisch-tschechische Konflikte bereits im Altertum, wo die Vorfahren des tschechischen Volkes in das ursprünglich deutsche Böhmen gekommen sind. Der ständige Kampf um die Macht sowie eine Angst voreinander sind die Ursachen des Hasses, der die gegenseitige Beziehung der beiden Nationalitäten prägt.

Vor dem Krieg macht sich in dem Land ein Wandel spürbar. Die tschechische Bevölkerung gewinnt an Oberhand und Macht über die Deutschen, was der deutschböhmische Protagonist Jakobs als eine Bedrohung für die böhmischen Deutschen empfindet. Diese Bedrohung wird schließlich durch die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik und die folgende Unterdrückung der deutschen Interessen in Böhmen erfüllt.

Die gegenseitigen Einstellungen der beiden Nationalitäten zueinander werden nicht eindeutig negativ, sondern als ambivalent dargestellt. Im Text kommen mehrere Situationen vor, wo eine deutsche Figur die Tschechen oder umgekehrt eine tschechische Figur die Deutschen verteidigt.

„Wenn das neue Wahlrecht kommt, wird Budweis tschechisch. Und das darf doch nicht sein. […] Dann fliegen aber die Deutschen aus den Ämtern und sitzen auf der Straße. Und wenn es eine Arbeit zu vergeben gibt, kommt dann immer bloß ein Tscheche dran.“ S. 32f.

„Genau so ist es jetzt schon, bloß umgekehrt. Bisher flog immer der Tscheche ´raus, wenn es ihm überhaupt gelang, irgendwo unterzukriechen. […] Und ihr könnt euch gar nicht denken, dass mit diesen Ungerechtigkeiten einmal Schluß wäre, weil eurer nationalistisches und kapitalistisches Hirn es nicht erfassen kann.“ S. 32f.

Bereits durch das am Anfang des Textes stehende Zitat von Eduard Beneš wird ein mögliches friedliches Zusammenleben der beiden Nationen von Anfang an ausgeschlossen. Diese Behauptung wird durch den Text bestätigt, die Koexistenz der beiden Völker wird durch den gegenseitigen Hass verhindert.

‚Es ist eine tschechische Stimme [eines Offiziers]‛, dachte Christopher. ‚Und er ist nicht so unwillig, weil ich ungerufen hier hereinkam, sondern weil er deutsch sprechen muß. Für diesen Haß haben wir hier in Böhmen ein scharfes Gehör. Dieser Haß ruft das Blut auf. Und da ist die Not der eigenen Ehre plötzlich und gar nichts mehr.‛“ S. 86

Diejenigen Tschechen, die an ihr Volk glauben und dafür kämpfen, betrachtet der Protagonist zwar als seine Gegner, die es jedoch zu respektieren gilt.

Die Aussage des Romans geht allerdings klar zugunsten der böhmischen Deutschen. „Die tschechische Liebe zum eigenen Volk wird zwar akzeptiert und verstanden, ihm wird sogar sein Recht auf Entfaltung zugestanden, dies jedoch keinesfalls auf Kosten des deutschen Volkes und in den von Deutschen besiedelten Gebieten. Hier, wo die Interessen miteinander in Konflikt geraten, ist mit dem vorgeblich rechtmäßigen Anspruch der Deutschen auf das Land zum Erhalt des eigenen Volkes die Rechtfertigung für einen rücksichtslosen Kampf gegeben.“ (Lahl, T.: Das Subjekt im Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiven. Deutschböhmische und -mährische Romane in der Zeit der ersten Tschechoslowakischen Republik. Köln, Dissertation, 2012 S. 365)

Weitgehend negativ wird die Beziehung der Tschechen zu Österreich-Ungarn dargestellt. Der Text verdeutlicht, dass die Tschechen die Autorität des Kaisers auf verschiedene Weise zu unterlaufen versuchen. Neben dem heimlich verbreiteten Aufruf des Tschechischen Zentralausschusses in Paris, der die Tschechen zum Boykott des Kriegsdienstes an der Seite der Habsburgischen Monarchie auffordert, sabotiert beispielweise ein hochrangiger tschechischer Offizier die Offensive an der Südfront und gibt sein Regiment an den Feind preis. Solche Versuche haben dem Text nach die Niederlage Österreich-Ungarns im dem Weltkrieg zum Ziel, die die Entstehung eines unabhängigen Tschechoslowakischen Staates ermöglichen soll.

In der Figur des deutschböhmischen Protagonisten problematisiert der Text die Stellung der böhmischen Deutschen in Österreich-Ungarn und ihre Beziehung zu Deutschland. Der Protagonist Christopher Jakobs fühlt keine Zugehörigkeit zu der Monarchie, die ein Vielvölkerstaat ist und somit die von ihm am höchsten geschätzte Entität eines einheitlichen Volkes an sich unterdrückt. Aus diesem Grund weigert sich Jacobs anfangs für Österreich in den Krieg zu ziehen. Er präsentiert sich von Anfang an als ein Deutschböhme bzw. als ein Deutscher und gehört zu den Vertretern des großdeutschen Gedankens. Das Bündnis zwischen Österreich und Deutschland und v. a. das Gefühl, den anderen deutschen Soldaten im Krieg beistehen zu müssen, bringen ihn später dazu, freiwillig in die Armee einzurücken.

Nach dem Ende des Krieges fühlt sich Jakobs von der deutschen Seite im Stich gelassen, da sich Deutschland mit der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik im Grunde einverstanden zeigt und im Interesse der böhmischen Deutschen nichts unternimmt. Diese werden überdies in Deutschland abschätzig als „unechte Deutsche“ bzw. als Tschechen angesehen. Darüber hinaus fehlt den Deutschen in Deutschland das Zusammengehörigkeitsgefühl eines einheitlichen Volkes, da sie trotz dem einheitlichen deutschen Staat immer noch in den Verhältnissen der früheren auf dem Gebiete Deutschlands bestehenden Kleinstaaten denken.

Er fühlte wieder die Stimme des langen Kerls wie eine Faust gegen sein Gesicht schlagen: ‚Ihr Tschechen geht uns nichts an!ʻ Er hörte seinen Schrei dagegen: ‚Wir sind Deutsche!ʻ Er sah den Kerl die Pranke auf den Tische jagen: ‚Wir aber sind Bayer und haben eine eigene Republik! Geh zu den Preußen, wenn du was haben willst, du Böhm!ʻ“ S. 303

Zivilbevölkerung:

Siehe Feindbild und Freundbild.

Intertextualität:
Einstellung zum Krieg:

Positiv. Die anfänglich ablehnende Haltung sowohl bei den Deutschen als auch bei den Tschechen verändert sich im Laufe des Krieges auf beiden genannten Seiten zu der Ansicht, dass der Krieg als Mittel zu diversen politischen Lösungen zu betrachten ist.

Die ursprünglich ablehnende Haltung des deutschböhmischen Protagonisten ändert sich nach dem Schließen des Bündnisses zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn. Ein Kampf für die Habsburger Monarchie, zu der er keinerlei Zugehörigkeit empfindet, wäre für ihn völlig sinnlos. Nachdem Beitritt Deutschlands rückt er freiwillig in den Krieg, um an der Seite anderer Deutschen zu kämpfen und somit die Entstehung eines großdeutschen Staates ermöglichen.

Sinnangebote:

Die im Text dargestellten Tschechen hoffen auf eine Niederlage Österreich-Ungarns, die für sie eine Möglichkeit bedeuten würde, ihren eigenen, selbstständigen Staat zu bilden.

Die böhmischen Deutschen hoffen dagegen auf einen Sieg des Dreibunds, der die Verwirklichung des großdeutschen Gedanken ermöglichte.

Was die Herren in Paris immer beschließen mögen, es wird der Tag kommen, wo wir Schulter an Schulter mit dem Deutschen Reiche einmarschieren werden in die freie großdeutsche Republik.“ S. 300