Perutz nahm an politischen Versammlungen von Sozialdemokraten, Kommunisten und Anarchisten teil, war jedoch selbst „vermutlich zu sehr Skeptiker und Wahrscheinlichkeitstheoretiker, als daß er einer eigenen politischen Aktivität große Wirkung beigemessen hätte.“ (Müller, Hans-Harald: Leo Perutz – ein biographischer Essay (1895), In: Herr, erbarme dich meiner, S. 197.)
Ja, seit 1915 an der Ostfront, ab 1917 in Kriegspressequartier.
Ein möglicher autobiographischer Zusammenhang ist der Aufenthalt des Autors sowie des Textprotagonisten im Kriegsspital nach einer schweren Verwundung (Perutz wurde im Jahre 1916 an der galizischen Ostfront schwer verletzt).
Privattyp
Erzählsammlung Herr, erbarme dich meiner - Nachwort von Hans-Harald Müller – Leo Perutz – ein biographischer Essay; Editorische Notiz von Hans-Harald Müller.
S. 33-39 in der Sammlung; heterodiegetischer Erzähler; interne Fokalisierung; keine weitere Gliederung.
Zitate aus der Wiener Zeitung.
Tiflis, Wien.
Russische Kriegsgefangenschaft (ein Kriegsspital in Tiflis), Hinterland (Wien).
Oktober 1916 – Frühjahr 1918. Im Mittelpunkt der Erzählung steht das Datum 12. Oktober 1916 – der Tag, an dem der Protagonist Georg Pichler von einem russischen Arzt die aktuelle Ausgabe der Wiener Zeitung bekommt. An diesem Tag passiert im Grunde nichts Besonderes. Dem verletzten Pichler, der im Krankenhaus untätig liegt und die Zeitung insgesamt 270-mal liest, erscheinen jedoch die Ereignisse des 12. Oktober 1916 sehr wichtig.
„Dieser Tag hatte ewiges Leben, hatte alle anderen Tage verschlungen, es gab nur ihn. […] Die Zeit war stehengeblieben am Dienstag, den 12. Oktober 1916.“ (S. 38)
Die russischen Patienten in dem Kriegsspital gehören im Grunde zum „Feind“, diese Unterscheidung ist für den Protagonist allerdings im Grunde nicht mehr wichtig, weil er dringend einen Kommunikationspartner braucht.
"Er unterdrückte den Groll gegen seinen Bettnachbarn, der ihn mit seinem endlosen Husten allnächtlich aus dem Schlaf weckte, verzieh ihm diese und andere Untugenden und versuchte, sich ihm verständlich zu machen. Er sprach zu ihm wie zu einem Kinde: langsam, mit viel Geduld und in merkwürdig vereinfachten Redewendungen. Der Versuch mißlang. Georg Pichler sprach kein Wort russisch und sein Nachbar zudem vermutlich nur tatarisch.“ (S. 34)
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Die subjektive Einstellung des Protagonisten, eines einfachen Soldaten, zum Krieg ist eindeutig negativ. Der Protagonist freut sich darüber, verletzt geworden zu sein und nicht mehr in inhumanen, gefährlichen Bedingungen kämpfen zu müssen. Den Krieg begreift er keineswegs als einen Dienst für den Staat bzw. als ein anderes höheres Prinzip, sondern lediglich als Gefahr für sein eigenes Leben.
„Die Vorstellung, daß, während er sich behaglich unter seiner warmen Decke dehnen durfte, sein ehemaliger Vorgesetzter, der Stabsfeldwebel Votrubec, fröstelnd, ohne Tabak, mit leerem Magen und Aussicht auf einen Bauchschuß in dem regendurchweichten Schützengraben auf und ab marschierte – diese versöhnte ihn vollends mit seinem Schicksal. […] Er freute sich seines wiedergewonnenen Lebens, freute sich, daß er dem Krieg für immer entronnen war.“ (S. 33)