Der Hof zu den Nußbäumen

Titel:
Der Hof zu den Nußbäumen

Autor:

Ernst Wolfgang Freissler ( 7. Juli 1884 in Troppau, Österr.-Schlesien - 25. Februar 1937 in Stadt-Olbersdorf in der Tschechoslowakei)
Politische Bedeutung:

Liberal

Perspektive:
Kriegserlebnis:

Nein

Vorkommen von autobiographischen Elementen im Text:

Nein.

Bibliographie

Der Hof zu den Nußbäumen
Erscheinungsjahr, Auflage:
1916, 1. Auflage
Verlag, Ort:
Albert Langen, München
Seitenzahl:
25
Gattung:
Epik
Darstellungstyp:

Privattyp/Repräsentationstyp.

Paratexte:

Keine.

Struktur:

Formale Charakteristik des Werkes:

Heterodiegetischer Erzähler; Nullfokalisierung/Allsicht.

Eingliederung von Dokumenten / Medien / Bilder:

Nein.

Raum:

Geographischer Raum:

Die Geschichte spielt auf einem Meierhof in Nordfrankreich, in der Nähe von der Stadt Lille, die sich fast an der Grenze zu Belgien befindet.

Umfang des Spielraumes:

Hinterland.

Zeit:

Die Handlung setzt zu Friedenszeiten auf einem nordfranzösischen Meierhof ein und spricht die schlagartigen Veränderungen der Lebensumstände auf dem Hof nach dem Beginn des Kriegs an. Keine konkreten Zeitangaben, erwähnt wird lediglich die Schlacht bei Ypern. Die Novelle endet ungefähr in der Mitte des ersten Weltkriegs im Jahre 1916.

Fremdenbilder:

Feindbild:

Der Text konzentriert sich auf das Bild der französischen Bewohner des oben erwähnten Meierhofes. Diese werden am Anfang des Krieges zum großen Teil mobilisiert oder fliehen später vor den aus Belgien kommenden deutschen Truppen weiter ins französische Innenland. Die eigentlichen Protagonisten des Textes sind der Hofbesitzer Baptiste Géraud und seine Schwiegertochter, die auf dem Hof auch nach der Ankunft der deutschen Besatzungstruppen alleine bleiben. 

Der Text gibt deutlich zum Ausdruck, dass die Einstellung der abseits der Kriegs- und politischen Geschehnisse lebenden Landesbevölkerung zum Krieg negativ ist. Dies ändert sich bei dem Großbauer, der die Vatergeneration repräsentiert, bis zum Ende der Geschichte nicht. Seine in die Armee angerückten Söhne drücken allerdings bereits nach einem kurzem Aufenthalt an der Westfront in ihren nach Hause gerichteten Briefen ihre Kriegsbegeisterung aus, was an die militärische Kriegs- und Nationalpropaganda zurückzuführen ist. Der Text will dadurch den durch den Krieg verursachten Bruch zwischen den beiden Generationen sichtbar machen. Eine ähnliche Funktion erfüllt auch die Figur der Schwiegertochter, der „schönen Suze“. Solange der Bauer seine übergeordnete Stellung auf dem Hof, sei es den ursprünglichen Hofbewohner (seinen Söhnen, Knechten usw.) oder den deutschen Besatzern gegenüber, behaupten kann, bleibt sie seinem Sohn treu. Nach dem symbolischen Verlust dieser Stellung (siehe unten), gibt sie sich dem auf dem Hof untergebrachten deutschen Unteroffizier hin.

„Von draußen kamen überschäumende Siegesberichte, verbunden mit haarsträubenden Schilderungen von der tierischen Roheit der Boches. Sogar die beiden Jungen schrieben in einem Tone, den der Vater nie erwartet hätte, – sie standen schon ‚mitten in Feindesland‘, irgendwo im Elsaß, schienen ganz zufrieden mit den neuen Zuständen und dachten offenbar gar nicht daran, daß es an der flandrischen Grenze einen prächtigen alten Hof gab, auf dem sie groß geworden waren […]. S. 11

Die Einstellung der beiden Zurückgebliebenen zu den deutschen Besatzern ist am Anfang eine eindeutig negative, ändert sich jedoch in kurzer Zeit, da sich die Deutschen an der Landwirtschaftsarbeit beteiligen und somit die weitere Erhaltung des Hofes überhaupt erst ermöglichen, auch wenn die Erzeugnisse ihrer Arbeit für die deutsche Armee bestimmt sind. Das gegenseitige Verständnis des Bauers und des deutschen leitenden Unteroffiziers ist v. a. durch die gemeinsame bäuerliche Herkunft bedingt.

Freundbild:

Das Bild der deutschen Soldaten, die den Hof besetzen, kontrastiert mit den Gerüchten und Vorstellungen, die die Franzosen am Anfang des Krieges über die Deutschen bekommen und in denen deutsche Armee als unmenschlich brutal geschildert wird, wofür der Text implizit die Wirkung französischer Kriegspropaganda schuldig macht.

„Von draußen kamen überschäumende Siegesberichte, verbunden mit haarsträubenden Schilderungen von der tierischen Rohheit der Boches.“ S. 11.

Das Verhalten der Deutschen zu den beiden Hofbewohnern wird, diesen Gerüchten entgegen, als weitgehend neutral, im Falle des leitenden Unteroffiziers sogar als freundlich dargestellt. Dieser fühlt sich mit dem französischen Bauer, wie bereits erwähnt, durch seine bäuerliche Herkunft verbunden und begegnet den Erfahrungen desselben in Sachen Landwirtschaft mit großem Respekt, wodurch der alte Bauer vorübergehend seine frühere führende Rolle auf dem Hof zurückgewinnt.

Die landwirtschaftliche Arbeit und das dadurch wieder erwachte Gefühl der Erdverbundenheit lassen sowohl den Bauer als auch den deutschen Offizier den Krieg sowie die gegenseitige Feindschaft vergessen.

„Am nächsten Morgen ging die Arbeit an; der Alte äußerte zunächst einige Bedenken, man möchte ihm den Boden ruinieren; Die Ackerkrume sei nur dünn über sandigem Grund; es dürfte nicht zu tief gepflügt werden. Der Unteroffizier ging mit Bereitwilligkeit und großem Verständnis darauf ein und fügte sich überhaupt der langjährigen Ortskenntnis und Erfahrung des Alten, was diesen wiederum mit unverhohlener Freude erfüllte. Hinter Pflug und Egge vergaßen sie alle zusammen den Krieg vollends.“ S. 20

Zivilbevölkerung:

Siehe Feind- und Freundbild.

Intertextualität:

-

Einstellung zum Krieg:

Negativ. Der Krieg wird eindeutig als Ursache für den Untergang der alten patriarchalischen Gesellschaftsordnung und damit auch der alten Generation dargestellt, die sich durch ihre Verbundenheit mit ihrem Herkunftsort und mit den Traditionen voriger Generationen auszeichnet und in dem Krieg, der das Verlassen der Heimat fordert, keinen Sinn sieht.

„Dem Alten wäre es nie in den Sinn gekommen, sich etwa als „Untertan“ zu fühlen. Seine politischen Instinkte waren rudimentär. Bei den Wahlen gab er mit größter Gleichgültigkeit seine Stimme für einen beliebigen Kandidaten ab, in der festen Überzeugung, daß es niemandem gelingen würde, ihm in seinen eigenen Betrieb nur ein Wort hineinzureden.

Dieser schöne Gleichmut erlitt durch den krieg einen furchtbaren Stoß. Bei der Plötzlichkeit der Ereignisse hatte die Fama keine Zeit gehabt, auch die abseits vom großen Getriebe Stehenden irgendwie vorzubereiten. So platzte der wohlgelittene Gemeindebüttel geradezu als Bote der Weltgeschichte in die friedliche Geschäftigkeit eines Erntetages. Seinem erhitzten Gebaren fehlte jede Spur des altgewohnten Respekts; von ungeheurem Machtbewußtsein gebläht, schnarrte er den beiden Söhnen, sowie der Mehrheit der Knechte im Kasernenton den Befehl zu sofortigem Einrücken zu, unterließ auch nicht, als hätte er persönlich sie zu verhängen und nötigenfalls zu vollstrecken, die strengste Strafe für etwaiges Ausbleiben mit übermenschlicher Geste anzudrohen, und verließ endlich, die übliche Erfrischung herrisch zurückweisend, grußlos und geschäftig den Hof.

Der alte Baptiste blickte ihm verständnislos nach. Er empfand die ganze Szene einfach als unerhörten Eingriff in seine persönlichen Machtbefugnisse und schien nicht übel geneigt, durch einen drakonischen Gegenbefehl die unsinnige Verfügung, die ihm mitten in der Ernte die besten Leute nahm einfach aufzuheben. Mit dem Begriff „Krieg“ verband er keine Vorstellung. Er fühlte nur dunkel, daß sich da plötzlich ein Irgendwer, den er bisher nicht für voll genommen hatte, als der Stärkere aufspielen wollte.“ S. 8

So wird im Text implizit auf die gegensätzliche Haltung der beiden französischen Hofbewohner und der deutschen Soldaten hingewiesen. Mehrmals wird eine Situation geschildert, in der die Schwiegertochter und der alte Bauer nicht im Stande sind zu verstehen, warum deutsche Soldaten, die entweder einen Urlaub bekamen oder an der Front verwundet wurden, freiwillig in den Kampf zurückkehren. Das soll die Tatsache betonen, dass die Deutschen, im Unterschied zu den Franzosen, den Krieg als Ehrensache und somit als selbstverständliche Pflicht ihrem Land gegenüber auffassen. Für den französischen Bauer und anfangs auch seine Schwiegertochter ist allerdings das Verbleiben in ihrem Heimatort und dessen Bewahrung und Verteidigung das Selbstverständliche, weswegen sie der deutschen Meinung mit Verwunderung bzw. Verständnislosigkeit begegnen.

„Später, als alle bei Tisch saßen, kam sie leise herein, setzte sich zunächst auf die Ofenbank und rückte allmählich näher, bis sie plötzlich eine Frage ins Gespräch warf. Alle blickten sie verwundert an, denn sie sprach fast nie mit den Deutschen; sie mußte nochmals fragen: ‚Müssen Sie wieder da … da hinaus?‘ – ‚Weiß nicht; kann schon sein‘, gab der Unteroffizier nach kurzer Pause zurück. – ‚Aber … aber …‘ sie stotterte und wurde brennend rot, ‚Sie sind doch sehr nötig hier?‘ […] Am nächsten Tage nahm die Arbeit ihren Fortgang. Abends kamen drei Infanteristen auf den Hof und blieben zu Nacht. Wieder nahm Suze am Gespräch teil: ‚Wohin gehen die Leute?ʻ - ‚Nach Hause; auf Urlaub.ʻ - ‚Die kommen doch nicht wieder zurück?ʻ - ‚Warum sollen die nicht wiederkommen?ʻ Der Unteroffizier nahm vor Staunen die Pfeife aus dem Mund. ‚Wer zwingt sie denn?ʻ meinte sie, leicht verschüchtert. ‚Die braucht man nicht zwingen!ʻ Es klang ziemlich grob. Der Alte und die Schwiegertochter wechselten einen schnellen Blick.“ S. 21f.

Der Text endet mit einem symbolischen Untergang des Hofes und somit auch der alten Gesellschaftsordnung. In der Schlussszene rettet der Unteroffizier dem alten Bauer sein Leben, indem er ein durchgegangenes Pferd zum Stehen bringt, was der Bauer nicht mehr selber schaffen kann. Der Rettungsakt, der die physische sowie psychische Überlegenheit des Offiziers zum Ausdruck bringt, wird für den Bauer gleichzeitig zur Niederlage und bewegt ihm letztendlich dazu, die durch ein Befehl für die deutsche Frontseite angeforderten Nussbäume, den Generationen alten Symbol des Hofes, mit eigener Hand zu fällen.

 „Der Gaul merkte die fremde Hand und tanzte vor der Egge. Der Alte wollte sich nicht lumpen lassen, und als es ihm zu bunt wurde, schlug er mit dem Zügelende zu; dabei mußte er wohl die frische Narbe getroffen haben: der Gaul sprang dem Alten ans Bein und warf ihm zu Boden. Aber er ließ die Zügel nicht, hielt sie fest und ließ sich schleifen; neben ihm sprang die Egge in wilden Sätzen, - jeden Augenblick konnte sie auf ihn niederfallen, ihn mit fünfzig Spitzen durchbohren. – Ein hallender Weibergeschrei über weites Feld: Suze kam vom Hof her. Der Unteroffizier rennt durch die weichen Schollen wie besessen, quer auf den Gaul los, packt ihm ins Gebiß und reißt ihn mit einem furchtbaren Ruck zusammen, daß er zitternd, schäumend steht. Der Alte rafft sich mühselig auf, zerschunden, voll Lehm, aber er kann stehen; Suze, todbleich, will ihn stützen; er weist sie ab, humpelt allein dem Hofe zu. Er scheint beschämt. Size eilt ihm nach. Die anderen arbeiten weiter und ziehen ersten nach Feierabend heim.

Wie der Unteroffizier nach der Fütterung aus dem Stall zum Wohnhaus geht, springt ihm, im Halbdunkel des Hausganges, stumm und glühend Suze an den Hals, preßt sich an ihn, küßt ihn, beißt ihm die Lippe wund. Wie er hart und besitzend die Arme um sie schlingt, keucht sie ihm ins Ohr: ‚Du bist so stark!‘ Draußen bellt derweil eine Art: der alte Baptiste fällt mit eigener Hand die Nußbäume, die seines Hofes Wahrzeichen waren von alters her.“ S. 24f.

Außerdem eine Personifizierung des Krieges als eines Ungeheuers, das immer mehr Menschen verschlingt.

„Von den umliegenden Gehöften begannen die ersten Einwohner zu fliehen; Gesinde entlief; immer mehr Leute nach beiden Altersgrenzen zu wurden eingezogen, verschwanden aus dem täglichen Gesichtskreis, als hätte sie das nahende Ungeheuer verschluckt.“ S. 13

Sinnangebote:

Keine.